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3. Dezember 1922: Ein Stück Blei als Dank

Aktualisiert: vor 4 Tagen


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Am 3. Dezember 1922 richteten die Mennoniten der mennonitischen Kolonie Chortitza am Dnepr ein tief bewegendes Dankschreiben an ihre Glaubensgeschwister in Nordamerika. Was auf den ersten Blick wie ein formaler Dankesbrief erscheinen könnte, war in Wahrheit ein Dokument aus einer Welt am Rand des Zusammenbruchs – und zugleich ein Zeugnis eines überraschend erfolgreichen, Hilfseinsatzes weit über Landesgrenzen hinaus.


Hintergrund: Hungersnot, Bürgerkrieg und Zerstörung


Die Jahre 1917 bis 1921 hatten die mennonitischen Kolonien im südukrainischen Raum schwer getroffen. Nach Revolution und Bürgerkrieg verwandelten Wechselherrschaften zwischen Roten, Weißen, Machno-Anhängern und lokalen Milizen die ehemals wohlhabenden deutschen Siedlungen in ein Gebiet permanenter Unsicherheit.


  • Plünderungen, Requirierungen und Gewalt trafen Chortitza besonders hart.


  • Die Hungersnot von 1921/22, ausgelöst durch Ernteausfälle, Kriegsschäden und staatliche Getreideabgaben, ließ ganze Dörfer verarmen.

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  • In manchen Ortschaften sank die tägliche Kalorienzufuhr auf lebensbedrohliche Werte; Zeitzeugen berichten von „Brot aus Kleie und Heu“.


Gleichzeitig kamen Tausende mennonitische Flüchtlinge in die alten Mutterkolonien zurück, nachdem ihre eigenen Kolonien verwüstet worden waren. Chortitza wurde so – zusätzlich zur eigenen Not – zum Auffangort für Heimatlose.


Amerikanische Hilfsaktionen und die Entstehung des MCC


Die Berichte aus der Ukraine erreichten 1920–21 die mennonitischen Gemeinden in den USA und Kanada. In dieser Phase gründeten mehrere mennonitische Richtungen gemeinsam das Mennonite Central Committee (MCC), um erstmals koordiniert internationale Hilfe zu leisten.


Ab Frühjahr 1922 entstanden in Chortitza und Umgebung Hilfsküchen, die täglich mehrere Tausend Mahlzeiten ausgaben. Lebensmittel wurden über Odessa und Moskau ins Gebiet gebracht, oft in Kooperation mit der American Relief Administration. Für viele Familien war dies die erste geregelte Nahrung seit Monaten.


Ein typische Szene vor der Küche der "Amerikanischen Hilfe". Hier wurden über 800 Menschen mit Essen versorgt.
Ein typische Szene vor der Küche der "Amerikanischen Hilfe". Hier wurden über 800 Menschen mit Essen versorgt.

Besonders einprägsam war die Lieferung von Fordson-Traktoren, die amerikanische Mennoniten im Sommer 1922 finanziert hatten. Die Maschinen sollten den zerstörten Landbau wieder in Gang bringen – und sie taten es: Im Oktober 1922 erreichten mehrere Traktoren, begleitet von Pflügen, Treibriemen und Werkzeugen, die Kolonie Chortitza.


8 Fordson Traktoren der "Amerikanische Hilfe" in Chortitza. Dies ist die offizielle Eröffnung der Umbauarbeiten mit der Regierung-Beamten auf dem Feld. Oktober 1921
8 Fordson Traktoren der "Amerikanische Hilfe" in Chortitza. Dies ist die offizielle Eröffnung der Umbauarbeiten mit der Regierung-Beamten auf dem Feld. Oktober 1921

Zeitgenössische Berichte sprechen davon, dass die Ankunft der Maschinen „wie ein neues Kapitel“ wirkte, denn sie standen für Modernisierung und Zukunft nach Jahren des Überlebenskampfes.


Das Memorandum vom 3. Dezember 1922


In dieser Atmosphäre der Hoffnung und Erleichterung entstand das Dankschreiben der Chortitza-Mennoniten – verfasst von örtlichen Gemeindeleitern, Lehrern und Verwaltungsältesten, darunter oft Männer, die erst kurz zuvor aus politischer Haft oder Flüchtlingslagern zurückgekehrt waren.


Das Schreiben:

  • schilderte die reale Notlage der vergangenen zwei Jahre,

  • dokumentierte die Wirkung der Hilfsküchen,

  • betonte die Bedeutung der Traktoren für die kommende Saat,

  • und formulierte eine tiefe, beinahe feierliche Dankbarkeit gegenüber den weit entfernten Glaubensgeschwistern.


Viele Formulierungen lassen erkennen, wie bewusst den Absendern war, dass ihre Worte eine Chance boten, die Brücke zwischen einer verwüsteten Welt und der mennonitischen Diaspora zu stärken.


Die Bleimedaille – ein Symbol aus den Trümmern


Dem Dankschreiben lag der Überlieferung nach, ein Gegenstand bei, der heute fast noch aussagekräftiger ist als das Schreiben selbst: eine handgegossene Bleimedaille, gefertigt aus eingeschmolzenen Geschosskugeln.


Symbolik des Materials


Das Blei stammte aus Patronen, die in den Jahren zuvor massenhaft im Boden der Dörfer lagen – stumme Zeugen der Kämpfe, Überfälle und Gefechte, die Chortitza verwüstet hatten. Durch das Einschmelzen dieser Relikte der Gewalt verwandelten die Mennoniten buchstäblich Kriegsmetall in Friedensmetall.


Das Medaillon selbst


Die Medaillen soll nach der Überlieferung einfache, aber eindringliche Motive zeigen:

  • ein Helfer, der einem Kind Brot reicht,

  • eine Pflugschar oder ein Traktor,

  • Hände, die sich über Grenzen hinweg begegnen.


Das Medaillon wurde, so erzählt die Überlieferung, von John P. Klassen angefertigt. Dieser sammelte in seinem Dorf leere Patronenhülsen und Geschosse ein, die Relikte des Krieges, und schmolz sie ein. Aus dem Blei formte er dann kleine Medaillen.


Eine dieser Medaillen befindet sich im Kaufmann Museum in den USA. Ob es sich um die Medaille handelte, die dem Dankschreiben vom 03. Dezember 1922 beigefügt war, ist nicht eindeutig zu klären.


Eine andere Medaille wird auf der Internetseite Chortitza.org gezeigt. Diese Medaille ähnelt vom Aussehen der Medaille des Dankschreibens, aber sie ist auf Juli 1922 datiert.


Resonanz in Nordamerika


Als die Medaille und das Dankschreiben in die Vereinigten Staaten gelangten, lösten sie starke Emotionen aus. Für die amerikanischen Mennoniten waren sie ein materielles Zeugnis, dass ihre Hilfe angekommen war – und dass sie in einer globalen Glaubensgemeinschaft Verantwortung übernahmen.


Zeitungsartikel mennonitischer Gemeinden in Iowa, Kansas und Pennsylvania berichteten in den folgenden Jahren häufig von der Bleimedaille und stellten sie als Zeichen der „Friedensarbeit inmitten des Chaos“ dar.


Bedeutung heute


Das Dankschreiben vom 3. Dezember 1922 ist ein kleines Dokument, entstanden unter extremen Umständen. Doch es erzählt eine große Geschichte:


  • von dem Durchhaltewillen der Chortitza-Mennoniten,

  • von dem internationalen Zusammenhalt einer Glaubensgemeinschaft und dem Mitfühlen mit den Glaubensgeschwistern

  • und von einem Moment, in dem aus Patronen Hoffnung gegossen wurde.


Die Medaille selbst – ein winziges Objekt mit großer Bedeutung – steht heute sinnbildlich für den Übergang der Kolonie aus den Jahren der Gewalt in eine Phase des Wiederaufbaus und für die heilsame Kraft transnationaler Solidarität.


Informationen entnommen aus folgenden Quellen:

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