05. Dezember: Neues Wehrgesetz in Österreich
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Aktualisiert: vor 2 Tagen

Am 5. Dezember 1868 verabschiedete der österreichisch verwaltete Teil des Habsburgerreiches ein neues Wehrgesetz. Dieses Gesetz stellte die Weichen für eine moderne Massenarmee auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht – und stellte zugleich die kleine mennonitische Minderheit in Galizien vor eine Gewissenskrise.
Mennoniten in Galizien – vom Sonderprivileg zur allgemeinen Wehrpflicht
Seit dem späten 18. Jahrhundert lebten Mennoniten in Ostgalizien. Etwa 28 Familien, vor allem aus dem Weichseldelta kommend, hatten sich in den Kolonien Einsiedel und Falkenstein niedergelassen. Kaiser Joseph II. gewährte ihnen 1789 in einem besonderen Schutzprivileg weitreichende Zusicherungen: Befreiung von der Militärpflicht und von der Eidesleistung, die sie aus Glaubensgründen ablehnten. Gleichzeitig schloss er eine weitere mennonitische Ansiedlung in Galizien aus.

Über Jahrzehnte lebten diese Gemeinden damit in einem rechtlich gesicherten Sonderstatus. Ihre leistungsfähigen Gutsbetriebe waren für die galizische Landwirtschaft von Bedeutung, und die Regierung akzeptierte im Gegenzug ihre Wehrlosigkeitstradition – also die grundsätzliche Ablehnung des Waffendienstes.
Die tiefgreifenden Reformen nach 1867 – Ausgleich mit Ungarn, neue Verfassung und Heeresreform – setzten diesem System der Privilegien ein Ende. Die Monarchie brauchte ein verlässliches, modernes Heer. Mit dem Wehrgesetz vom 5. Dezember 1868 wurde die allgemeine Wehrpflicht für alle männlichen Untertanen der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder eingeführt.
Die Sorge der galizischen Mennoniten
Für die mennonitischen Kolonien Galiziens bedeutete dieses Gesetz, dass ihr altes Privileg von 1789 in Frage stand. Eine Einberufung zum regulären Waffendienst hätte die Mennoniten in einen direkten Konflikt mit ihrem Glaubensverständnis gebracht: Nach ihrer Interpretation der Bergpredigt durfte ein Christ nicht töten und nicht zum Kriegshandwerk greifen.
Wenige Tage nach Verabschiedung des Wehrgesetzes reisten Vertreter der galizischen Mennoniten deshalb nach Wien. In den Protokollen des österreichischen Ministerrates wird für den 10. Dezember 1868 ausdrücklich eine „Deputation der Mennoniten aus Galizien wegen Befreiung von der Militärpflicht“ erwähnt.
Das detaillierte Protokoll dieses Tages ist zwar nicht erhalten, doch der Vorgang zeigt: Die Mennoniten suchten unmittelbar nach Inkrafttreten des Wehrgesetzes eine Lösung, die sowohl ihre religiöse Überzeugung als auch die Interessen des Staates berücksichtigte.
Vom Waffen- zum Lazarettdienst
Zeitgleich wurden auch in anderen Teilen Mitteleuropas Kompromisse mit mennonitischen Wehrlosen gesucht. In Preußen hatte bereits im März 1868 eine Kabinettsorder zugestanden, dass Mennoniten anstelle des Waffendienstes im Sanitätswesen oder in der militärischen Verwaltung einen waffenlosen Dienst leisten konnten.

Vor diesem Hintergrund ist plausibel, dass auch die k. k. Regierung in Wien eine ähnliche Lösung anstrebte. In der Verwaltungspraxis der Habsburgermonarchie wurden mennonitische Wehrpflichtige aus Galizien später tatsächlich nicht als kämpfende Soldaten, sondern im Rahmen des Sanitäts- und Lazarettdienstes herangezogen – also als Träger, Pfleger, Schreiber und Hilfskräfte in Militärspitälern und Verwundetenstationen. Damit blieb der Dienst zwar militärisch organisiert, war jedoch klar als waffenloser Hilfsdienst definiert.
Formal bedeutete dies:
Die Mennoniten galten grundsätzlich als wehrpflichtig wie andere Staatsbürger.
Ihre Einberufung wurde jedoch auf nicht-kämpfende Funktionen des Lazarettdienstes beschränkt.
Sie mussten keinen Fahneneid in üblicher Form leisten, sondern erhielten – anknüpfend an das ältere Privileg Josephs II. – eine der mennonitischen Eidesverweigerung angepasste Verpflichtungsformel.
Diese Regelung entsprach dem Kernanliegen der Gemeinden: Sie blieben ihrem pazifistischen Zeugnis treu, waren aber bereit, Verwundete und Kranke zu pflegen und damit am Leid der Kriege mitzutragen, ohne selbst zur Waffe zu greifen.
Gültigkeit bis zum Ende der Monarchie
Das Wehrgesetz von 1868 und die darauf fußenden Ausführungsbestimmungen blieben – mit kleineren Modifikationen – bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie gültig. Erst im Herbst 1918 brach die k. u. k. Armee unter der Last des Ersten Weltkrieges zusammen; am 1. November 1918 war die österreichisch-ungarische Kriegs- und Verwaltungsordnung faktisch aufgehoben. Damit verloren auch die speziellen Bestimmungen für mennonitische Wehrpflichtige ihre Geltung.
Für die wenigen Mennoniten Galiziens – schon zahlenmäßig eine kleine Minderheit – markierte das Ende der Monarchie einen tiefen Einschnitt. In den Wirren von Krieg, Revolution und Grenzverschiebungen nach 1918 gingen viele der alten Rechtsdokumente und Erinnerungen verloren. Später wurden die galizischen Mennoniten von den politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts erfasst; ein Teil von ihnen wurde nach 1945 in die Sowjetunion verschleppt, andere suchten neue Heimat in Nord- und Südamerika.
Bedeutung für das mennonitische Selbstverständnis
Rückblickend lässt sich der 5. Dezember 1868 als Datum eines heiklen, aber wichtigen Kompromisses deuten:
Für den Staat war es ein Schritt, eine religiöse Minderheit in das System der allgemeinen Bürgerpflichten einzubinden, ohne deren Gewissen zu brechen.
Für die Mennoniten war es ein Beispiel dafür, wie man in einer modernen Staatsgesellschaft loyal sein und dennoch an der Tradition der Wehrlosigkeit festhalten konnte – indem man den Dienst am Nächsten über den Dienst an der Waffe stellte.
Die Beschränkung der Wehrpflicht auf den Lazarettdienst blieb bis zum Ende der Habsburgermonarchie ein stilles, aber wirkungsvolles Schutzschild für die galizischen Mennoniten. Sie zeigt, wie politische und religiöse Überzeugungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neu austariert wurden – zwischen Obrigkeitsstaat, Volksarmee und dem alten täuferischen Ideal der Gewaltlosigkeit.
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