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Mennoniten in Preußen gründen eine der ersten Brandversicherungen

Titelblatt der "Werdeschen Brandordnung" von 1624
Titelblatt der "Werdeschen Brandordnung" von 1624

Zu Anfang des 17. Jahrhunderts hatten die holländischen und friesischen Einwanderer bereits den größten Teil der meist unter dem Meeresspiegel gelegenen Sumpfgebiete an Linau, Tiege und Haff kultiviert. Eine Reihe von neuen Dörfern war angelegt, und der angeschwemmte, fruchtbare Boden brachte nach Urbarmachung und Entwässerung gute Erträge.


Obwohl das Land hier in der Niederung durch Dämme geschützt wurde, war im Frühjahr durch die Schneeschmelze die Gefahr der Überschwemmung groß. Um dieser Gefahr besser zu begegnen, errichtete man die Gebäude auf einem aufgeschütteten Hügel, einer sogenannten Warft.


Die kleineren Gehöfte baute man als Langhof: Wohnhaus, Stall und Scheune aneinander, die etwas größeren als Winkelhof, da man sich mit dem Platz auf dem Hügel beschränken musste. Hier lagen Wohnhaus und Stall in einer Reihe, die Scheune war links an den Stall angebaut.


Die großen Höfe hatten noch zusätzlich eine zweite Scheune, die rechts an den Stall angebaut wurde (Kreuzhof). So war der Platz auf dem Hügel bestens ausgenützt.


Durch diese Bauweise konnten ihnen kleinere Überschwemmungen nichts anhaben, und für größere Wassergefahr hielt man Kähne mit entsprechendem Zubehör bereit und ließ im Stall eine Treppe herunter, um das Vieh auf dem Stallboden in Sicherheit bringen zu können.


So sehr diese Bauweise der Höfe Schutz gegen Hochwasser bot, so groß war dagegen die Gefahr bei Brandschäden, wobei es wegen des Holz- und Rohrdachbaus auf kleinem Raum in der Regel Totalschäden gab. Ein Bauer konnte durch einen Blitzschlag alles verlieren.


Wen wundert es da, dass gerade hier im Niederungsgebiet zum Schutz gegen diese Feuergefahr die Idee zu einer Feuerversicherung reifte.


Mennonitische Bauern in Tiegenhagen waren es, die miteinander beschlossen, aus tätiger Nächstenliebe dem abgebrannten Glaubensbruder und Nachbarn, der als Emphyteut doch für die Erhaltung sämtlicher Gebäude haftete, in seiner Not durch Geldumlagen zu helfen.


Dieser Plan fand rasch Zustimmung in den Nachbardörfern, und so wurde am 29. Mai 1623 die Gründung der Brandordnung von neun Ortschaften beschlossen. Alle gehörten sie zum Pfandgebiet der Familie Weiher, der sogenannten Tiegenhöfer Ökonomie. Folgende Ortschaften waren beteiligt:

  • Groß-Tiegenhagen

  • Plattendorf

  • Klein-Tiegenwerder

  • Reimerswalder

  • Petershägenerfelder

  • Plötzendörfer

  • Altendörfer

  • Stobbendorfer

  • Haberhorster


Und weiter heißt es im Gründungsprotokoll, das als Vorrede immer wieder in jedes neue Brandbuch übertragen wurde:

 

»Diese obgedachte Dorfschaften haben sich mit allem und ganzem Fleyße hierinnen bearbeitet, um diese Ordnung von Drandschaden ins Werk aufzurichten und zu vollenden. Dieweil man es betrachtet und befindet, daß diese Ordnung uns nicht unerträglich, sondern billig, christlich, und auch hoch zu loben ist, daß man armen, betrübten Leuten zu Hülfe kommet und das man ihnen die schuldige Hand zu reichen bereit stehet, damit sie wieder aufbauen und zu ihrer Nahrung fortstellen mögen. Also haben wir mit folgenden Punkten beliebet, auch untereinander stet und vest gelobet zu helfen, und solche unsere Brandordnung und gutwillige Beliebung weiter nicht gehen noch verstanden werden; denn nur auf diejenigen, welche sich hierin bewilligen, und diese Verbindniße mit uns anzunehmen bereit stehen.«

 

Mit der Idee zur Gründung dieser Brandhilfskasse übernahmen die Tiegenhagener eine Vorreiterrolle in den preußischen Landen. Die holländischen Einwanderer kannten diese Art gegenseitiger Hilfeleistung schon aus ihrer alten Heimat. Feuerversicherungen auf Gegenseitigkeit hatten in Flandern schon eine alte Tradition, denn die erste gab es dort bereits im Jahre 1070.


Jedoch eine ununterbrochene Entwicklungslinie begann erst 1537 mit den Brandgilden in Schleswig-Holstein.


So hatten nun die Mennoniten eine weitere bewährte Einrichtung aus der alten in die neue Heimat übertragen, und sie kam auch Andersgläubigen zugute.


Der Zuspruch war allenthalben groß, und schon am 16. Juni desselben Jahres schlossen sich die »Rathsunterthanen« Danzigs und die Bewohner des Elbingschen Gebietes dem Bündnis der neun Ortschaften an.


Mit dem 26. Februar 1624 erhielt der neue erweiterte Bund seine Wirksamkeit unter dem Namen Große Werdersche Brandordnung.


Da die Tiegenhagener den Entschluß zu diesem Bund gefasst hatten, wurde als erster Grundsatz festgesetzt, dass seine Hauptverwaltung für alle Zeiten im Tiegenhöfschen Gebiete verbleiben sollte. Und in der Tat verblieb sie hier, zwar nicht für alle Zeiten, so aber doch für 320 Jahre – bis 1945. Und der Brandvorsteher, den man später Brandregent nannte, war immer ein Einwohner des Dorfes Tiegenhagen.


Gründer und Mitglieder dieser segensreichen Einrichtung waren Bauern gewesen, und so wurde denn auch der Landbesitz Maßstab für die zu versichernden Gebäude. Man folgerte, dass mit steigender Morgenzahl auch größere Gebäude erforderlich waren. Für jeden durch die Brandordnung versicherten Morgen Land, sollten dem Betroffenen 20 Mark zum Wiederaufbau seines eingeäscherten Gehöftes gegeben werden, und zwar durch Umlage bei allen Mitgliedern.


Weiter heißt es in den Punkten:

»Die Dorfschulzen der zur Brandordnung gehörenden Ortschaften haben sich am dritten Tage nach dem Brande eines Gebäudes bei Strafe eines ungarischen Floren an den Verunglückten auf der Brandstätte einzufinden, wo dann sofort unter Leitung des Tiegenhagener Brandvorstehers die Unterstützungssumme (Brandgeld) für den Abgebrannten und an Hand des mitgebrachten Catasters (des Mitgliederverzeichnisses mit eines jeden Hufen- und Morgenzahl), danach die Leistung der einzelnen Nachbarn festgelegt ward.

 

Diese Summe hatte ein jeder Dorfschulze bis zu einem von allen festgesetzten Termine in seinem Gemeindebezirke einzuziehen und dem Vorsteher auszuhändigen, von dem der Verunglückte die Unterstützung dann erhielt.

Wer von den Mitgliedern mit der Zahlung seines ausgesetzten Brandgeldes an den Dorfschulzen über drei Wochen verzog, mußte die doppelte Summe seinem 'Notbruder' zahlen, und wer sich solcher Anordnung nicht fügte, ward als 'Ungehorsamer sofort aus dem Bunde ausgeschlossen.

Das 'Einkaufsgeld' für neu aufzunehmende Mitglieder ward auf & Mark pro Hufe festgelegt.«


Das erste zu entschädigende Brandunglück geschah am 18. März 1626 durch einen unreinen und undichten Schornstein. Das hatte zur Folge, dass dem Dorfschulzen die Schornsteinschau zu Ostern und zu Michaelis eines jeden Jahres zur Pflicht gemacht wurde, was laut Kataster in der Folgezeit viel Ärger verursachte.


Und Abraham Hartwich zitiert aus der Brandordnung dazu:

» ... so einem das Wohn-Hauß abbrennete / soll er vor allen Dingen von Grund auf einen gemauerten Schornstein aufzuführen schuldig seyn / dieweil leider GOttes die meisten Feuer-Schaden durch die schlimmen Schornsteine entstehen / damit künftig solch großes Unglück verhütet werden möchte.«

 

1639 wurde die Brandordnung erstmalig in den Punkten grundlegend geändert. Aus der ehemaligen von Fall zu Fall festzulegenden Unterstützungssumme, die nur für den Gebäudeaufbau gedacht war, wurde schon eine Brandversicherung heutiger Art. Nun konnten die Mitglieder auch ihr Vieh versichern, für das man je nach Art genaue Entschädigungssummen festlegte.


Und weil damals der Flachs- und Hanfanbau im Werder sehr stark betrieben wurde, folgte 1641ein weiterer Punkt der die Versicherung in diesem Bereich regelte:

Paragraph der Brandordnung der den Flachs- und Hanfanbau regelte
Paragraph der Brandordnung der den Flachs- und Hanfanbau regelte

Informationen aus dem Buch "Marienau Ein Werderdorf zwischen Weichsel und Nogat" von Helmut Enss entnommen.

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