top of page

Die mennonitischen Flugpioniere von Chortitza (1907–1909)

ree

Drei junge Mennoniten in der Ukraine und der Traum vom Fliegen


Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als das Fliegen noch eine kühne Vision war, versuchten drei junge Mennoniten in der russischen Ukraine, die Gesetze der Schwerkraft zu überwinden. Heinrich Plenert, Kornelius (Cornelius) Hildebrand(t) und Peter Unrau aus der Chortitza-Kolonie bauten zwischen 1907 und 1909 ein eigenes Flugzeug – zuerst ein einfaches Gleitflugzeug, später eine motorisierte Maschine. Ihre Experimente gehören zu den frühesten Versuchen dieser Art in Osteuropa und zeugen von technischer Neugier, Mut und handwerklichem Geschick.

 

Die Geburt eines Traums


Im Jahr 1907, als die Brüder Wright bereits sechs Jahre zuvor in Kitty Hawk geflogen waren, experimentierten französische und britische Flieger, und Kanadier wie Bell und McCurdy hatten ihre Silver Dart getestet, lebte Russland noch als „schlafender Riese“. Die herrschende Mentalität lautete: „Wenn Gott wollte, dass Menschen fliegen, hätte er ihnen Flügel gegeben.“


Trotz dieser Vorbehalte beschlossen die College-Studenten Henry Plenert, Kornelius Hildebrand und Peter Unrau, ein eigenes Fluggerät zu bauen. Aus einer Mischung von technischem Wissen, handwerklichem Geschick und Neugier entstand ein Segelflugzeug, das in der flachen russischen Steppe getestet wurde.


HUP – der erste Gleiter


Das erste Fluggerät, HUP („Hüpfen“, nach den Initialen der Erbauer), war ein zweiflügeliger Gleiter. Die jungen Mennoniten statteten ihn mit Skiern aus, um auf Gras zu gleiten, und nutzten zwei Pferde, um die nötige Startkraft zu liefern. Ein kraftvoller Hengst und eine schnelle Stute zogen die Maschine in die Luft, wo sie sanft über die Steppe segelte. Trotz anfänglicher Skepsis in der streng gläubigen Gemeinde zogen die Experimente Menschenmengen an – manchmal wurden Eintrittsgelder verlangt, gelegentlich erhielt das Projekt freiwillige Spenden.


HUP II – der Motorflugversuch


1909 war es Zeit für den nächsten Schritt: das motorisierte Flugzeug HUP II. Der vierzylindrige luftgekühlte Motor wurde in Hildebrands Fabrik von Hand gebaut, die Tragflächen in Alexandrowsk gefertigt. Nur der Propeller stammte aus Deutschland. Wegen der hohen Kosten mussten erneut Skier eingesetzt werden – Räder waren nicht finanzierbar.


In einer dunklen, nebligen Nacht wurde die Maschine zusammengebaut und mithilfe von Pferden nach Chortitza gezogen. Henry Plenert übernahm den Testflug. Obwohl das Flugzeug jetzt mit einem Motor ausgestattet war, wurden für den Start dennoch Pferde benötigt. Mit ohrenbetäubendem Dröhnen sprang der Motor an, die Pferde galoppierten schneller als bei den Testflügen und als das Flugzeug die nötige Geschwindigkeit hatte, wurden losgeschnitten, und HUP II hob aus eigener Kraft ab. Doch dann zerbrach der Propeller – das Flugzeug stürzte ab. Glücklicherweise blieb der Pilot unverletzt, und das Projekt wurde eingestellt.


Die Ursache für den Propellerbruch ist bis heute unklar: Vermutet werden ein defekter Propeller, ein zurückgebliebenes Seilstück, ein aufgewirbelter Stein oder ein abgerissenes Abspannseil.


Ein Lebensweg geprägt von Technik und Wirren


Nach dem Absturz gingen die Lebenswege der drei auseinander:


  • Kornelius Hildebrand studierte Maschinenbau in Darmstadt und übernahm später familiäre Verantwortung in der Fabrik.

  • Peter Unrau setzte seine technischen Forschungen fort, konstruierte Boote und Motorräder, erhielt sogar den Lenin-Orden, wurde jedoch später Opfer der Stalin-Säuberungen.

  • Henry Plenert wanderte nach Kanada aus, betrieb Landwirtschaft in Saskatchewan, später in Winnipeg, und führte ein stilles, frommes Mennonitenleben. Kaum jemand wusste von seinem Beitrag zur frühen Luftfahrt.


Vergessenes Erbe


Das HUP-Projekt, heute nur noch durch verblasste Fotos, Korrespondenz und mündliche Überlieferungen bekannt, war die wahrscheinlich erste Flugmaschine, die in Russland von Mennoniten entworfen, gebaut und teilweise gestartet wurde. Obwohl die Zeit, politische Umwälzungen und Kriege vieles zerstörten, bleibt doch die Erinnerung an dieses frühe Meisterwerk der Flugkunst bestehen.

 

Quellen und Hinweise

  • Artikel von Peter Lorenz Neufeld aus dem Menonite Hustorian vom März 1991

  • Mündliche Überlieferungen aus der Chortitza-Kolonie

  • Mennonite Heritage Archives (Winnipeg, Kanada)

  • Plett Foundation: Diese Steine – Geschichte der Russlandmennoniten

  • Reisebericht Rappensprung (2019): „Hildebrandt, Unrau, Plenert – die mennonitischen Flugpioniere“

Kommentare


Mit dieser Internetseite möchten wir den internationalen Erfahrungsaustausch und die gegenseitige Unterstützung über Ländergrenzen hinweg fördern.

Wir laden alle Besucher herzlich ein, Feedback zu geben, Korrekturen vorzuschlagen oder eigene Beiträge einzureichen.

Bei Fragen, Kommentaren oder Anregungen können Sie uns gerne kontaktieren.


WhatsApp:
00598 98072033
Uruguay-98072033


info@mennoniten-weltweit.info

WhatsApp.webp
telegram-icon-6896828_640.png
Mennoniten: Arbeite und hoffe
bottom of page