Das Weichsel-Nogat-Delta – Entwässerungstechnik einst und jetzt
- Johann Peter Wiebe

- 1. Juli
- 8 Min. Lesezeit

Wenn wir das hauptsächlich landwirtschaftlich genutzte Gebiet an der unter Weichsel besuchen, kann man der Meinung sein, ein im Wesentlichen naturbelassenes Land zu sehen.
Aber der Blick auf mächtige Deiche und zahllose Entwässerungsgräben lassen umfangreiche Eingriffe in die Natur durch den Menschen erahnen. Früher war das Land geprägt durch viele weithin sichtbare, vom Wind angetriebene Entwässerungsmühlen, die heute durch elektrische Anlagen ersetzt wurden
I. Das Weichseldelta vor diesen Eingriffen
Ursprünglich erstreckte sich das Frische Haff bis vor die Tore Danzigs. Die natürliche fließende Weichsel und Nogat beanspruchten in ihrem Lauf durch viele eingelagerte Inseln eine große Weite.
Jedes Hochwasser konnte sich ungehindert ausbreiten und veränderte das Flussbett. Die gröberen Geschiebe lagerten sich an den Seiten des Flusslaufs ab und so wurden die direkten Uferzonen stärker erhöht. Feinere Sinkstoffe verteilten sich weit im gesamten Überflutungsbereich. Viele kleinere Seitenarme bildeten das Mündungsgebiet. Bei der durch jährliche Überflutungen ständigen Erhöhung der Hauptarme, konnte dann bei einem Hochwasser ein tiefer gelegener Seitenarm der neue Hauptabfluss werden. So wurde das Land gleichmäßig erhöht.
Hugo Bertram, Oberbaurat des Danziger Deichverbands, hat in den Jahren 1907 und 1922 eine Rekonstruktion des Weichsel-Nogat-Deltas um das Jahr 1300, also vor Beginn der weitgehenden Eingriffe der Menschen, vorgenommen und die Ergebnisse in einer Karte veröffentlicht.

Die fast zusammenhängende Wasserfläche des Frischen Haffs bis zur Stadt Danzig, aber auch der sich weit nach Westen erstreckende Drausensee ist zu erkennen. Die eingetragenen Höhenlinien zeigen die tiefsten Zonen im Bereich des zwischen Weichsel und Nogat fließenden Nebenarms an. Es ist heute die Schwente und Tiege. Im Danziger Werder ist der Alte Damm eingezeichnet, der wohl schon vor 1300 aufgeschüttet wurde.
II. Die frühe Zeit des Deutschen Ordens
Im Jahr 1231 überschritt aufgrund einer Einladung des Herzogs von Masowien um Hilfe gegen fortwährende Überfälle der Pruzzen eine Streitmacht des Deutschen Ordens die Weichsel und sicherte gegen den Widerstand der Pruzzen zunächst das Kulmerland. Schon 1231 gründete der Orden als erste Befestigung die Burg Thorn. 1234 wurde das östlich an der Weichsel liegende Pomesanien erobert und durch Burganlagen gesichert. Der Zustrom niederdeutscher Siedler konsolidierte die Herrschaft der Ordensritter nachhaltig.
Trotz diverser Rückschläge konnte der Orden in den Jahren 1261 bis 1271 die Pruzzen in schweren Kämpfen endgültig unterwerfen. 1309 wurde der Sitz des Hochmeisters von Venedig in die Marienburg verlegt. Das Große Werder kam 1242 in den Besitz des Ordens. Schnell erkannte man die Fruchtbarkeit des Schwemmlandes und richtete dort Vorwerke für die Rinderzucht zur Versorgung der Bewohner der Marienburg und Zuchtstationen für den Nachschub der benötigten Pferde ein. Eine beschränkte Ansiedlung in den höher gelegenen Gebieten des südlichen Großen Werders setzt schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein. Die Hauptansiedlung durch den Orden erfolgt in den Jahren 1300 bis 1360.
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde das Große Werder durch einen Ringdeich gegen Überflutung gesichert. Ein unglaubliche Kulturleitung wurde hier erbracht. Wer diese Arbeit geleistet hat ist nicht sicher. Während einige Historiker darin die Aufbauarbeit der frühen deutschen Siedler sehen, wird von anderer Seite vermutet, dass in Gefechten unterworfene und gefangene Pruzzen und Litauer vom Orden zu diesen Arbeiten gezwungen wurden. Der Deich folgte dem ungezähmten Weichselufer von der Montauer Spitze zum Danziger Haupt und folgte dann der Elbinger Weichsel.
Der Deich wurde nicht direkt am Ufer der Weichsel errichtet, sondern in einem unterschiedlich großen Abstand. Im Bereich größerer Flussinseln und damit großer Breite der Weichsel, oder wenn in Flussnähe sehr niedriges Land war, wurde der Deich oft in großen Bögen tief ins Land gezogen. An der Nogat verlief der Deich bis unterhalb der Marienburg, um dann in der Höhe von Halbstadt von der Nogat abzuzweigen und schließlich am westlichen Ufer der Stubaschen Lake nach Norden zu verlaufen. Ein weites Landstück zwischen dem Deich und der Nogat, die Einlage wurde zur Überflutung bei Hochwasser reserviert. Von hier wurde der Deich zum südlichen Ufer der Elbinger Weichsel weitergeführt. Nun war der Ringdeich geschlossen und das eingedeichte Gebiet vor Überfluten der Weichsel oder Nogat geschützt. Innerhalb dieses Ringdeichs um das Große Werder wurde ein erhebliches, teilweise bis zu 1,5 Meter unter dem Meeresspiegel liegendes Gebiet vom Haff abgetrennt.
Da das Land sehr nass ist, musste auch die über dem Meeresspiegel liegende Fläche für die landwirtschaftliche Nutzung entwässert werden. Dies geschah durch ein engmaschiges Netz von Entwässerungsgräben, die das aufgenommene Wasser in Vorfluter ableiteten. Als Vorfluter dienen die drei Werderflüsse, die Linau, die Schwente/Tiege und die Jungfersche Lake und natürliche und künstlich angelegte Nebenarme.
Während in den höher gelegenen Gebieten das Wasser natürlich über die Vorfluter abgeleitet wurde, mussten diese Flüsse in den Niederungsgebieten auch durch Deiche gesichert und das Wasser hochgepumpt werden. Zum Entwässern der tief gelegenen Gebiete wurden dorfweise Polder auf unterschiedlichen Höhen angelegt.

Bei dem Aufenthalt im Vorderen Orient zur Zeit der Kreuzzüge hatte der Orden dort von
Windmühlen angetriebene Schöpfwerke zum Bewässern von Feldern kennengelernt. Diese Technik wurde nun zum Entwässern des Landes eingesetzt.
Von einer Windmühle wird ein großes Rad mit vielen Schaufeln angetrieben. Das Schaufelrad bewegt sich in einem schmalen Kanal und wirft das Wasser von den tief gelegenen Feldern in das höher gelegene Ableitungssystem. Die maximale Förderhöhe dieser Technik beträgt ca. 80 cm. Überall, wo es auf der Seite der Vorfluter einen Rückstaugeben konnte, wurden Sieltore installiert. Ein Siel besteht aus einem Tor, das nur von innen her vom Wasser geöffnet werden kann, wenn der Wasserstand ausserhalb tiefer ist als innerhalb. Wenn der Wasserstand in dem Ableitungssystem höher ist, wird das Sieltor durch den Wasserdruck geschlossen und verhindert so einen Rückfluss. Auch vor dem Auswurfkanal der Wassermühle verhindert solch ein Siel den Rückfluss des hochgepumpten Wassers.

Die Deiche und auch die Entwässerungsgräben bedurften der ständigen Pflege. Alles war in der Dorfswillkür geregelt. So mussten auch jährlich die Gräben von dem sich schnell ausbreitenden Pflanzenbewuchs befreit werden.
Schon früh wurden auch in den Depressionsgebieten Dörfer gegründet. Das Dorf Petershagen wird bereits 1328 gegründet. Tiegenhagen bestand schon einige Jahre vor 1349. Das bedeutet, dass schon damals die Deiche auch an Unterläufen der Werderflüsse aufgeschüttet waren und die so gebildeten Polder entwässert werden konnten. Somit ist hier diese Technik früher genutzt als in den Niederlanden. Jedes Dorf in diesem Gebiet war ein Polder, die aber in unterschiedlicher Höhe lagen.
Bei der Entwässerung durch Windmühlen ist man vom Wind abhängig. Im Winter, wenn alles eingefroren war, konnte das Wasser nicht gepumpt werden, so standen die Felder im Frühjahr unter Wasser. Bei Starkwind aus Nordost wurde der Wasserstand im Haff und damit auch in den ableitenden Flüssen aufgestaut. Dann durfte nicht zusätzliches Pumpwasser den Wasserstand erhöhen. Schon in den Ordenszeiten war genau geregelt in welcher Reihenfolge die Felder entwässert werden. Beginnen die höher gelegenen Polder mit der Entwässerung bei solchen Bedingungen, läuft dann dieses Wasser über die Deiche in die niederen Polder. Erst wenn in den tiefen Poldern mit der Entwässerung begonnen werden konnte, durften auch die anderen Mühlen anfangen zu arbeiten. Erst wenn eine bestimmte Mühle, die sogenannte Markmühle, durch die weithin sichtbar sich drehenden Windmühlenflügel anfing Wasser auszumahlen, durften auch die weiteren Mühlen den Betrieb aufnehmen. Natürlich wollte jeder seine Felder möglichst schnell entwässern, um mit der Frühjahrsbestellung zu beginnen, aber alle achteten auf das Einhalten dieser Regeln. Man sah sich als Gemeinschaft an, die solch ein Werk nur mit viel Gemeinsinn bewältigen konnten.

Auf dem Kartenausschnitt sind verschiedene Entwässerungsmühlen eingetragen. An der Linau befindet sich die Markmühle. Erst wenn eine Wasserförderung der Markmühle möglich war, durften die anderen Mühlen in Betrieb gehen.

Das Dorf Tiegenhagen soll als Beispiel für die angewandte Poldertechnik dienen. Auf der abgedruckten Karte ist das ca. 0,5 Meter unter dem Meeresspiegel liegende von Wällen umgebende Dorf Tiegenhagen zu sehen. Auf der östlichen Seite ist der Tiegedeich. Im Süden wurde der Polder durch den Grünen Wall begrenzt. Von dort führt nach Norden der Susewall an der Suselake. Im Norden des Dorfes wurde ein Damm aufgeschüttet, der Susewall und Tiegedeich verband. Erst viel später im 16. Jahrhundert wurde an diesem Wall ein zusätzlicher Entwässerungsgraben, der Landwehrgraben oder Landgraben ausgehoben. Auch diese Deiche sollen von vielen Pruzzen und Litauern gebaut worden sein. Die Entwässerungsgräben führten zur Suselake oder zur Tiege und wurden dort von Schöpfmühlen ausgemahlen.
Nach der Schlacht von Tannenberg 1410 wurde der Orden vom dem polnisch-litauischen Heer besiegt. Aber der Orden wurde nicht vollständig geschlagen. Es folgte eine lange unsichere Zeit mit immer neuen Kriegen. Dazu kamen Deichbrüche mit verheerenden Überflutungen. Die Möglichkeiten alles instand zu halten waren nicht mehr gegeben. Viele Siedler kamen um andere verließen das Land und die Natur eroberte sich das Land zurück, es wurde wieder zu einem flachen See. Der westliche Teil des Ordenslandes verließ den Orden und stellte sich 1466 unter polnische Oberhoheit.
III. Neue Impulse der Entwässerungstechnik durch die Mennoniten ab dem 16. Jh
Erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts setzt eine neu Besiedlungsphase ein. Das Gebiet war
inzwischen vom polnischen König dem Bankhaus Loitz zur Nutzung überlassen. Diese holten Siedler aus Holland, Mennoniten, die Erfahrungen über Entwässerungstechniken und der
landwirtschaftlichen Nutzung solcher nassen Böden mitbrachten, ins Land. Gräben und Deiche und Entwässerungsanlagen waren zu pflegen oder neu anzulegen.

Zur Gewinnung von Neuland wurden in Holland ab dem frühen 15. Jahrhundert Polder angelegt, die durch Wassermühlen entwässert wurden. In Holland wurde dann auch das Prinzip der Archimedische Schraube neu angewandt, das schon im Altertum in Mesopotamien und Ägypten bekannt war, aber in Vergessenheit geriet. Die holländischen Siedler brachten diese Kenntnisse mit nach Preußen.
Die Schraubenpumpe arbeitet wie ein Fleischwolf. Die Mühle treibt eine sich in einem Trog befindende Spirale an. Durch die Drehung wird Wasser nach oben gefördert. Diese Mühlen waren leistungsfähiger als die Schöpfmühlen mit Wurfrad und übertrafen auch deren Förderhöhe. Während die damaligen Schöpfräder eine maximale Förderhöhe von 80 cm zuließen, wurden mit der Schraubenpumpe 1, 8 m erreicht. Im 19. Jahrhundert wurden mit den Schöpfrädern Förderleistungen von 55 m3/min erreicht, die Schraubenpumpen förderten 75 m3/min.
So konnten nun auch Gebiete im nördlichen Großen Werder trockengelegt werden, die bis zu 1,5 m unter dem Meeresspiegel liegen und deren Erschließung in Ordenszeiten noch nicht möglich war.

Die Rossmühle, eine Adam Wiebe zugeschriebene Erfindung machte es möglich das Land auch bei Windstille zu entwässern. Der Antrieb der Schöpfräder geschieht bei der Rossmühle durch ein von Pferden angetriebenes Göpelwerk.
IV. Die Anwendung neuer Technik im 19. und 20. Jahrhundert
Bei der Anwendung von Windenergie ist ein Problem, dass diese nicht immer zur Verfügung steht. Im 18. Jahrhundert wurde die Dampfmaschine erfunden und fand dann vielfache Anwendung. Im 19. Jahrhundert wurde dann begonnen die Technik auch für die Entwässerung einzusetzen. Im Frühjahr 1853 herrschte dauernde Windstille und noch im Mai stand das Tiegenhagener Land unter Wasser. So entsteht auch in Tiegenhagen der Wunsch eine Dampfentwässerungsmühle zu bauen, die dann von Schichau in Elbing gebaut wurde und im Frühjahr 1854 in Betrieb ging. 30 PS hatte die Maschine und kostete 7000 Taler. 1871 wurde im nördlichen Teil des Dorfes eine zweite Dampfmühle dazu.

Statt der bisherigen Wahrzeichen des Landes, der weithin sichtbaren sich drehenden Windmühlenflügel, ragten nun die Schornsteine der Dampfmühlen in den Himmel. Auch die Pumpentechnik änderte sich. Es kamen nun auch leistungsfähige Kreiselpumpen zum Einsatz.

Trotz aller Neuerungen blieb die Entwässerung immer schwierig. In der Mitte der 1920er Jahre wurde der Linauverband gegründet. Zu dem Verband gehörte ein Gebiet von 22000 ha, wovon 1/6 der Fläche natürlich, das heißt frei entwässerte, 5/6 wurden bis dahin durch 50 Windschöpfwerke ausgemahlen. An der Elbinger Weichsel wurde ein leistungsfähiges Pumpwerk mit drei Pumpen gebaut, zu Beginn durch drei Dieselmotoren angetrieben später zwei mit Elektroantrieb eine dritte mit Antrieb durch einen Dieselmotor. Am 1. September 1930 wurde mit dem Ausmahlen der Linau begonnen. Schon nach drei Tagen war der Wasserstand um 2 Meter abgesenkt. Jetzt lag der Grundwasserspiegel ca. 0,5 m unter der niedrigsten Stelle in dem Verbandsgebiet. Für die Landwirtschaft hatte diese zur Folge, dass nun eine Reihe von weiteren Früchten angebaut werden konnten. Abgeschlossen wurde die Anlage durch einen 1931 geschaffenen Verbindungsgraben zur
Linau. Jede der drei Pumpen hatte eine Förderleistung von 7 m3/Sek, wobei das Wasser um 2,5 gehoben in die Elbinger Weichsel werden musste. Für das Gebiet östlich der Schwente/Tiege wurde 1940 ein ähnliches Schöpfwerk an der Elbinger Weichsel in Betrieb genommen.
Literatur:
Horst Penner, Die ost- und westpreußischen Mennoniten Teil I, Mennonitischer Geschichtsverein, 1978
Gustav Fieguth, Heimat zwischen Weichsel und Nogat, Selbstverlag 1983
Horst Klaassen, Werderbauern im Weichsel-Nogat-Delta, 2003
H. Bertram, W. La Baume, O. Klöppel, Das Weichsel-Nogat-Delta, Danziger Verlagsgesellschaft, 1924




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