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25. November 1929: Der Tag der Befreiung

Das "Rote Tor" durch welches die Mennoniten am 25. November 1929 in die Freiheit fuhren
Das "Rote Tor" durch welches die Mennoniten am 25. November 1929 in die Freiheit fuhren

Mennoniten unter Druck


In den späten 1920er Jahren verschärfte sich die Repressionspolitik der Sowjetregierung radikal. Im Rahmen der Kollektivierungspolitik wurden Bauern enteignet, Mittelbauern – oft als „Kulaken“ diffamiert – wurden massiven Druck ausgesetzt, und religiöse Minderheiten wie die Mennoniten sahen sich zunehmend bedroht. Die Kirchen wurden aufgelöst und viele Gemeindeleiter verhaftet.


Die Zahl der Ausreisewilligen wuchs rasant. So suchten im Herbst 1929 rund 13.000 (vor allem mennonitische) Bauern in Moskau Unterstützung für einen Ausweg in Form einer Auswanderungsgenehmigung.


Anreise nach Moskau: Hoffen und Warten Herbst 1929 – Oktober


Mit dem zunehmenden Druck in den Kolonien verließen immer mehr mennonitische Familien ihre Dörfer. Einige reisten aus ihren Siedlungen (z. B. in der Ukraine oder Sibirien) nach Moskau, um dort offiziell eine Ausreise zu erzwingen.


In den Vororten von Moskau sammelten sich die Ausreisewilligen: Schätzungen zufolge waren es zwischen 15.000 und 18.000 Menschen, die sich dort niederließen, oft unter prekären Bedingungen (ohne offiziellen Wohnsitz, ohne Lebensmittelkarten).


Der „Brüder in Not“-Verein spielte eine wichtige Rolle bei der organisatorischen Koordination und sammelte Gelder, um die Flüchtlinge in Moskau zu unterstützen.


Früher November 1929


Bereits Anfang November wurde die Lage für die Flüchtlinge immer gefährlicher. Aus mennonitischen Dörfern – besonders aus der Molotschna-Region – kamen Berichte über Verhaftungen.


So wurde u. a. Dietrich J. Pauls, ein Prediger aus Hochfeld (Molotschna), am 19. November wegen angeblicher „konterrevolutionärer Agitation“ verhaftet und zu drei Jahren verurteilt.


Am 21. November wurde Cornelius H. Wiens (63 Jahre) aus Muntau festgenommen, weil er versucht haben soll, das Land Richtung Kanada zu verlassen.


In weiteren Dörfern der Molotschna-Kolonie – wie Alexanderkrone, Blumstein, Lichtenau und anderen – stehen mehrere Verhaftungen im Zusammenhang mit Ausreiseversuchen und „anti-sowjetischer Agitation“.


Der dramatische 25. November 1929 – Genehmigung der Ausreise


Am 25. November 1929 kam es zu einer entscheidenden Wende: Die sowjetischen Behörden gaben einer größeren Anzahl von Auswanderern offiziell die Erlaubnis, das Land zu verlassen. Historische Quellen nennen 5.671 Personen, die an diesem Tag ausreisten, davon 3.885 Mennoniten.


Die Hilfsorganisation Brüder in Not war essenziell dafür, dass diese Ausreise organisiert konnte werden: Sie koordinierte diplomatische Bemühungen, sammelte Spenden, tat sich mit dem Deutschen Roten Kreuz zusammen.


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In mennonitischen Überlieferungen gilt dieser Tag als symbolischer „Tor‑Tag“, der die Hoffnung auf geistige und körperliche Freiheit markierte. In der Diaspora wird er bis heute als Wendepunkt erinnert.


Nachwirkungen: Transporte, Zurückgewiesene und Deportationen

Ende November bis Dezember 1929


Direkt nach dem 25. November setzten Zugtransporte ein. Laut dem Bericht Moscow: 1929 verließen in den Tagen zwischen 29. November und 9. Dezember mehrere Züge mit Flüchtlingen das Land.


Eine Gruppe („Kiel-Gruppe“) mit 323 Personen reiste bereits Ende Oktober nach Leningrad und von dort mit dem Schiff Felix Dzerzhinskii nach Kiel; sie erreichten Kiel am 3. November 1929.


Eine weitere Gruppe (“Swinemünde-Gruppe”) mit 396 Personen verließ Moskau am 31. Oktober, erreichte Leningrad am 6. November und fuhr ab dem 29. November auf der Aleksei Rykov nach Swinemünde, Deutschland.


Verbleibende Ausreisewillige & Repression


Nicht alle, die nach Moskau gezogen waren, schafften den Ausstieg: Viele wurden verhaftet. Eine Liste, die von Benjamin H. Unruh erstellt wurde, führt Dutzende Mennoniten auf, die im November 1929 in oder nahe Moskau verhaftet wurden.


Beispiel: Franz Jakob Fedrau, geboren 1871, wurde am 14. November 1929 in der Nähe Moskaus verhaftet. Seine Familie (Ehefrau und acht Kinder) war später im Prenzlau-Flüchtlingslager.


Einige derjenigen, die verhaftet wurden, wurden in Arbeitslager verbracht oder deportiert. In mennonitischen Quellen ist von „Rücktransporten“ in die Kolonien, aber auch in entlegene Regionen berichtet.


Einzelne Schicksale & Zeitzeugenberichte


Adina (Neufeld) Bräul: In einem Memoirenbericht erzählt sie von ihrer Kindheit. Mit nur drei Jahren reiste sie mit ihrer Familie von Sparrau (Molotschna) nach Moskau, um die Ausreise zu versuchen. Doch die Familie wurde zurückgeschickt, „nicht nur arm, sondern gedemütigt, weil sie bestraft wurden, dass sie versucht hatten, das Land zu verlassen“.


Dietrich J. Pauls (Prediger, 43 Jahre, Hochfeld, Molotschna) wurde am 19. November wegen angeblicher „konterrevolutionärer Agitation“ verhaftet.


Cornelius H. Wiens, 63 Jahre alt, wurde am 21. November verhaftet mit dem Vorwurf, er habe versucht, das Land Richtung Kanada zu verlassen.


Diese Fälle zeigen sehr konkret, wie gefährlich der Fluchtversuch war: Nicht nur das Warten in Moskau war riskant, sondern der Weg dorthin konnte abrupt durch Verhaftung enden – mit teils langjährigen Konsequenzen.


Symbolische Bedeutung & Langzeitfolgen


Der 25. November 1929 ist nicht nur ein administratives Datum, sondern für die mennonitische Gemeinschaft ein Symbol der Rettung, des Glaubens und der Hoffnung.


In den mennonitischen Diasporagemeinden (z. B. in Paraguay, Deutschland, Kanada) wird dieser Tag regelmäßig als Gedenktag begangen.


Die Auswanderung war dank Brüder in Not nur möglich: Die Hilfsbewegung bündelte Ressourcen, verhandelte diplomatisch (u. a. mit dem Auswärtigen Amt Deutschlands, dem Völkerbund) und organisierte Aufnahmezentren.


Viele Ausgereiste ließen sich in Europa und Übersee nieder: Im Jahrbuch 2000 von Menonitica heißt es, dass nach der Auswanderung von 1929–1930 rund 1.500 nach Brasilien und 2.000 nach Paraguay zogen.


Gleichzeitig bleibt die Erinnerung an jene, die nicht ausreisen konnten – die Verhafteten, Deportierten, Zurückgewiesenen – ein wichtiger Teil des kollektiven Gedächtnisses der Gemeinschaft.


Der Kampf der Mennoniten war nicht nur ein materieller Überlebenskampf, sondern zutiefst religiös motiviert: Viele sahen die Ausreise als göttliche Fügung, als Weg, ihren Glauben und ihre Lebensweise zu bewahren.


Hinter den statischen Zahlen stehen viele persönliche Geschichten – von Verhaftungen, gescheiterten Versuchen, Verlust und Exil. Diese individuellen Schicksale machen die Dramatik greifbar.


Diejenigen, denen die Ausreise gelangen, bauten neue Gemeinden und Kolonien auf, vor allem in Übersee. So entstand zum Beispiel in Paraguay die Mennoniten‑Kolonie Fernheim.


Zugleich blieb bei vielen Mennoniten die Erinnerung an das Ringen um Freiheit lebendig, und der 25. November wurde so zu einem kollektiven Gedenktag, wo jährlich an dieses Ereignis gedacht wird. Ein Lied welches nach dem Passieren des "Roten Tores" spontan zur Ehre Gottes gesungen wurde, wird auch heute noch in diesem Zusammenhang immer wieder gesungen. Es handelt sich um das Lied: Nun danket alle Gott...

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