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07. Dezember 1542: Kaiser Karl V. verhängt das Todesurteil über Menno Simons

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Am 7. Dezember 1542 wird in den Niederlanden ein kaiserliches Plakat veröffentlicht, das sich ausdrücklich gegen einen ehemaligen katholischen Priester aus Friesland richtet: Menno Simons. In diesem Mandat, das im Namen Kaiser Karls V. erlassen wird, wird Menno als gefährlicher Täuferführer bezeichnet; seine Lehre gilt als Verführung „einfacher Leute“, die heimlich und bei Nacht betrieben werde. Das Plakat verbietet, ihn aufzunehmen, zu unterstützen, mit ihm Umgang zu haben oder seine Bücher zu besitzen – alles unter Androhung der Todesstrafe und des Verlustes von „Leib und Gut“. Wer Menno dagegen ergreift und an das Hofgericht liefert, soll eine Prämie von 100 Carolusgulden erhalten.


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Damit ist der 7. Dezember 1542 der Tag, an dem Menno Simons faktisch unter ein formelles Todesurteil des Kaisers gestellt wird. Es ist kein Gerichtsprozess mit persönlicher Verurteilung, sondern ein Steckbrief-Mandat: Wird Menno gefasst, ist seine Hinrichtung rechtlich bereits vorbereitet.


Vorgeschichte: Vom Dorfpriester zum gesuchten Täuferführer


Menno Simons, um 1496 in der Nähe von Witmarsum (Friesland) geboren, war zunächst katholischer Priester. Zweifel an der Lehre von der Messe und die Begegnung mit der Täuferbewegung ließen ihn ab den frühen 1530er-Jahren innerlich umkehren. Besonders die Hinrichtung des Täufers Sicke Freriks (1531), der wegen der „Wiedertaufe“ in Leeuwarden enthauptet wurde, brachte ihn ins Nachdenken: Warum muss ein so frommer Mann sterben, nur weil er sich hat taufen lassen?


Nach und nach löste sich Menno aus der alten Kirche, studierte intensiv die Bibel und schloss sich den Täufern an. 1536 gab er das Priesteramt endgültig auf, wurde selbst Täuferleiter und kurze Zeit später Ältester in Gemeinden in Friesland und den niederländischen Nordprovinzen.


In den Jahren bis 1542 war Menno unermüdlich unterwegs:

  • Er predigte in Häusern, Scheunen und auf abgelegenen Höfen.

  • Er taufte gläubig Gewordene und ordnete einfache Gemeindestrukturen.

  • Er grenzte sich deutlich von den gewaltsamen Täufern von Münster ab und vertrat einen kompromisslosen Gewaltverzicht.


Gerade die wachsende Zahl von Gemeinden, die sich unter Mennos Einfluss formierten, beunruhigte Obrigkeiten und Geistliche. Für viele Amtsträger wurden die „Mennisten“ – wie man sie zunehmend nannte – zum Synonym für „ungehorsame Untertanen“, die sich der obrigkeitlich kontrollierten Kirche entziehen wollten.


Der politische Kontext: Karl V., Einheit des Reiches und Täuferfurcht


In der Mitte des 16. Jahrhunderts ist Karl V. Herrscher eines gewaltigen Reiches: Deutsches Reich, Spanien, Burgund/Niederlande, Gebiete in Italien und Übersee. Er versteht sich als Hüter der katholischen Einheit – eine Einheit, die durch die Reformation bereits tief erschüttert ist.


Karl V. um 1548 als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches
Karl V. um 1548 als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches

Besonders die Täufer gelten als gefährlich:

  • Sie stellen die Kindertaufe und damit das religiöse Fundament der bisherigen Gesellschaftsordnung infrage.

  • Sie lehnen in vielen Fällen den Eid, den Militärdienst und die Beteiligung an staatlicher Gewalt ab.

  • Nach der Katastrophe von Münster (1534/35) gelten sie vielen Obrigkeiten pauschal als revolutionäre Unruhestifter.


In den Niederlanden, die direkt der Herrschaft Karls V. unterstehen, werden seit den 1520er-Jahren zahlreiche Plakate (Mandate) gegen Täufer erlassen. Sie drohen mit Kerker, Verbannung oder Tod für Täufer, ihre Prediger und deren Unterstützer. Menno wirkt genau in

dieser Zone intensiver Verfolgung – und gewinnt dennoch immer mehr Anhänger.


Das Plakat vom 7. Dezember 1542


Vor diesem Hintergrund steht das Plakat, das am 7. Dezember 1542 in Friesland und den niederländischen Provinzen bekannt gemacht wird.


Der überlieferte Wortlaut sowie spätere Zusammenfassungen fassen das Mandat in etwa so zusammen:

  • Adressat: „den heer Menno Simons“, vormals Priester zu Witmarsum.

  • Vorwurf: Er verführt die Menschen mit falscher Lehre, hält heimliche Zusammenkünfte und stiftet Ungehorsam gegenüber Kirche und Obrigkeit.

  • Verbot:

    • Niemand darf ihn beherbergen, bewirten oder auf irgendeine Weise begünstigen.

    • Niemand darf mit ihm „konversieren“ (Umgang pflegen).

    • Besitz und Lesen seiner Bücher wird ausdrücklich untersagt.

  • Strafe: Zuwiderhandelnde verwirken Leib und Gut – das heißt im damaligen Rechtsverständnis: Todesstrafe und Konfiskation des Vermögens.

  • Belohnung: Wer Menno ergreift und dem Hof von Friesland ausliefert, erhält eine Prämie von 100 Carolusgulden, eine für einfache Leute sehr hohe Summe.


Das Plakat ist damit eine Mischung aus Todesurteil, Kontaktverbot und Kopfgelderlass. Es macht Menno Simons zum Gejagten des Kaisers und stellt alle, die ihm nahestehen, unter den Verdacht des Hochverrats und der Ketzerei.


Unmittelbare Folgen: Verfolgung des Umfeldes


Das Edikt von 1542 hat praktische Folgen – auch wenn Menno selbst nie ergriffen wird. In Täufer- und mennonitischen Quellen, aber auch in staatlichen Akten, tauchen Fälle auf, die direkt mit der Unterstützung Mennos zusammenhängen:

  • Ein Mann namens Tjaert (Tjaard) Reinders/Reyerts wird 1539 in Leeuwarden enthauptet, weil er Menno Unterkunft gewährt hat.

  • Andere Unterstützer werden eingekerkert, gefoltert oder hingerichtet, weil sie ihn versteckten oder seine Schriften besaßen.


Menno Simons in der Postkutsche bei der Überprüfung durch Täuferjäger ( Postkutschenlegende)
Menno Simons in der Postkutsche bei der Überprüfung durch Täuferjäger ( Postkutschenlegende)

Viele einfache Männer und Frauen zahlen also mit ihrem Leben dafür, dass sie einem verfolgten Prediger die Tür geöffnet, ihn mit Essen versorgt oder seine Bücher gelesen haben. In der mennonitischen Märtyrerüberlieferung werden ihre Namen bewahrt und ihre Geschichten als Beispiele treuen Glaubens erzählt.


Für Menno selbst bedeutet das Plakat:

  • Er kann nicht mehr an einem Ort länger bleiben.

  • Er lebt über Jahre hinweg als „Wanderprediger im Untergrund“, immer auf der Flucht, oft krank, aber theologisch und seelsorgerlich hoch aktiv.


Mennos Antwort: Die Gemeinde der „Friedfertigen“


Bemerkenswert ist, wie Menno auf diese Eskalation reagiert. Anstatt in den Widerstand zu gehen oder zur bewaffneten Selbstverteidigung aufzurufen, betont er gerade jetzt:

  • Gewaltverzicht – auch gegenüber Feinden und Verfolgern.

  • Trennung von Gemeinde und Schwertgewalt: Die Kirche Jesu folgt nicht den Mitteln des Staates.

  • Freiwillige Jüngerschaft: Christsein kann nicht erzwungen werden, weder durch Taufe im Säuglingsalter noch durch politische Macht.


In diesem Sinne wird der 7. Dezember 1542 zu einer Art „Schwellenmoment“:

  • Die weltliche Macht reagiert mit dem härtesten Mittel – der Todesdrohung und totalen Verfolgung.

  • Menno und seine Gemeinden antworten nicht mit Gegengewalt, sondern mit konsequenter Gemeindebildung im Schatten der Verfolgung.


Gerade weil das Plakat alle äußeren Sicherheiten zerstört, schweißt es die Gruppen zusammen, die sich unter Mennos Führung sammeln. Die Bereitschaft, für den Glauben zu leiden, wird zu einem prägenden Bestandteil der mennonitischen Identität.


Langfristige Auswirkungen: Vom Steckbrief zur Tradition der Verfolgten


Die unmittelbare Wirkung des Plakats ist Einschüchterung, Flucht, Verhaftung, Tod. Langfristig aber hat das Mandat unerwartete Folgen:

  • Formierung einer eigenen Tradition

    Die „Mennisten“ beginnen, ihre Märtyrer und Verfolgten bewusst zu erinnern. Spätere Sammlungen wie der „Märtyrerspiegel“ (van Braght, 1660) knüpfen an diese Tradition an. Menno selbst wird zur Symbolfigur eines friedfertigen, verfolgten Predigers, der lieber im Untergrund lebt, als seinen Glauben der Staatskirche anzupassen.

  • Stärkung des Gedankens religiöser Gewissensfreiheit

    Obwohl Karl V. religiöse Einheit durch Zwang sichern will, wirkt das Edikt im Rückblick wie ein Gegenbeweis: Mit Gewalt lässt sich Glaube nicht steuern. Für viele späteren Mennoniten – etwa in den Niederlanden, in Preußen oder in Russland – wird die Erinnerung an diese frühe Verfolgung zum Argument, warum Glaubens- und Gewissensfreiheit unverzichtbar ist.

  • Namensgebung und Außensicht

    Weil das Plakat Menno namentlich nennt, prägt es zugleich die Außensicht: Die Behörden sehen zunehmend nicht einfach „Täufer“, sondern „Anhänger Menno Simons’“. Daraus entsteht die Bezeichnung „Mennoniten“ / „Mennisten“, die sich allmählich einbürgert und schließlich von den Gemeinden selbst übernommen wird.

  • Biografische Linie: Vom Gejagten zum Gemeindebauer

    Menno stirbt 1561 in Wüstenfelde (Holstein) eines natürlichen Todes – trotz des nie offiziell aufgehobenen Todesmandats. Die zweite Hälfte seines Lebens verbringt er damit, Gemeinden zu sammeln, zu ordnen und ihre Theologie zu formulieren. Das macht deutlich: Das Edikt hat ihn nicht zum Schweigen gebracht, sondern eher gezwungen, noch konsequenter als „Kirche im Exil“ zu denken.


Schluss: Ein Datum als Verdichtung einer ganzen Epoche


Der 7. Dezember 1542 ist mehr als nur ein Eintrag in einer Chronik. In ihm verdichten sich:

  • der Anspruch eines Kaisers, Glaubenseinheit durch Strafen zu sichern,

  • die Angst der Obrigkeit vor Bewegungen, die sich nicht in nationale oder konfessionelle Muster pressen lassen,

  • und die Antwort einer kleinen Gemeinschaft, die ihren Weg der gewaltlosen Nachfolge weitergeht, auch wenn er durch Verfolgung führt.


Für die spätere mennonitische Erinnerung ist dieses Datum ein Symbol:

Der Tag, an dem die weltliche Macht Menno Simons zum Tod verurteilte –und der Tag, an dem sich endgültig zeigte, dass der Weg der Gemeinde nicht über das Schwert, sondern über Kreuz und Nachfolge führt.


Quellen:


  • Simons, Menno. „Kort levensbericht.“ In: Tractaten over den doop, het avondmaal, enz. Voorafgegaan door een kort levensbericht en M.S.’ „Uitgang van het Pausdom“., hrsg. von Chr. P. van Eeghen Jr. Amsterdam: Johannes Müller, 2. verm. Aufl. 1892. Online in: Digitale Bibliotheek voor de Nederlandse Letteren (DBNL), PDF/HTML-Ausgabe.

  • Simons, Menno. [Levensbericht]. Niederländische Textausgabe („simons-menno-levensbericht.pdf“) nach der Ausgabe van Eeghen, o.O. o.J. Online: theologienet.nl.

  • Simons, Menno. Die vollständigen Werke Menno Simons (1554). Faksimile-Ausgabe der deutschen Gesamtausgabe, online als PDF unter „Die vollständigen Werke Menno Simons 1554“ (sermon-online.com).

  • Bakels, Herman. Het volk van Menno: de volgelingen van Menno Simons, de schippers en boeren van Friesland, bespied in hunne Menniste-Gemeente-zaken. Leiden: E. J. Brill, 1908. Digital verfügbar über HathiTrust.

  • Bakels, Herman. „Aanhangsel of Toegift.“ In: Neuauflage von Het volk van Menno, hrsg. und kommentiert, Leiden: Brill, 2024. (Mit Hinweis auf Tjaard Reinders als Beispiel der Verfolgung im Umfeld Menno Simons.)

  • Horsch, John. Menno Simons: His Life, Labors, and Teachings. Scottdale, PA: Mennonite Publishing House, 1916. Digital verfügbar über Internet Archive / HathiTrust.

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