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1. Dezember 1944: Kanada meldet 9.329 Kriegsdienstverweigerer

Kanadische Kriegsdienstverweigerer beim Ersatzdienst
Kanadische Kriegsdienstverweigerer beim Ersatzdienst

Während Europa in den letzten, blutigen Monaten des Zweiten Weltkriegs versinkt, veröffentlicht die kanadische Bundesregierung eine nüchtern klingende, aber politisch brisante Zahl: 9.329 Männer in Kanada gelten offiziell als Kriegsdienstverweigerer. Ihr Militärdienst wurde „aus Gewissensgründen aufgeschoben“. Die meisten von ihnen stammen aus zwei Provinzen der Weiten Prärie: Manitoba und Saskatchewan.


Eine Statistik mit politischem Gewicht


Kanada führt zu diesem Zeitpunkt ein zweigleisiges System der Wehrpflicht. Der National Resources Mobilization Act (NRMA) ermöglicht es, Männer für Ausbildung oder Kriegsarbeit heranzuziehen, erlaubt aber auch Ausnahmen für jene, die sich aus tiefem Gewissen heraus weigern, Waffen zu tragen. Gerade in den Jahren 1944–45, inmitten der sogenannten „Wehrpflichtkrise“, blickt die Öffentlichkeit genau hin: Wie viele verweigern? Und warum?


Die Antwort zum Stichtag 1. Dezember lautet: 9.329 Kriegsdienstverweigerer. Und diese Verteilung sorgt für Aufmerksamkeit, da es zwei Provinzen sind die besonders auffallen:


  • Manitoba: 2.820

  • Saskatchewan: 2.129


Damit stellen allein diese beiden Provinzen fast die Hälfte aller Verweigerer Kanadas.


Die Mennoniten – ein Volk des Friedens


Dass besonders Manitoba und Saskatchewan hervorstechen, hat einen klaren Grund: Hier leben seit dem späten 19. Jahrhundert große Gemeinschaften der Mennoniten, einer Freikirche, deren Tradition des Gewaltverzichts bis zur Täuferbewegung des 16. Jahrhunderts zurückreicht. Für sie ist Kriegsdienst nicht bloß eine politische Frage, sondern ein tief verankerter religiöser Grundsatz.


Die kanadische Bundesregierung erkennt diese Haltung offiziell an. Viele Mennoniten erhalten daher den Status als „conscientious objector“ – als Gewissensverweigerer. Doch ein Rückzug aus der Verantwortung ist das nicht: Stattdessen werden sie in den sogenannten „Alternative Service“ eingeteilt.


Ein anderer Beitrag zum Krieg


Die Arbeit der Verweigerer ist hart, oft körperlich fordernd – und für die Heimatfront unverzichtbar:


  • Landwirtschaft zur Sicherung der Nahrungsmittelproduktion

  • Forstwirtschaft, Straßenarbeiten und Schutz vor Waldbränden

  • Einsatz in Lagerprojekten von British Columbia bis Ontario


Gerade die mennonitischen Gemeinden der Prärie stellen viele der Arbeitskräfte, die während des Krieges Felder bestellen, Holz schlagen oder Infrastruktur am Laufen halten. Sie tragen auf ihre Weise zur Kriegsanstrengung bei – ohne gegen ihr Gewissen zu handeln.


Ersatzdienst von kanadischen Kriegsdienstverweigerern
Ersatzdienst von kanadischen Kriegsdienstverweigerern

Zwischen Misstrauen und Anerkennung


Die Haltung der Verweigerer ist nicht unumstritten. In den Städten werden sie manchmal als Drückeberger beschimpft, in ihrer Heimat hingegen als treue Glieder einer jahrhundertealten Friedensethik angesehen. Die Regierungen müssen den schmalen Grat gehen, einerseits militärische Bedürfnisse zu erfüllen, andererseits religiöse Freiheit zu respektieren.


Ein Blick über die Statistik hinaus


Hinter der nüchternen Meldung des 1. Dezember 1944 stehen tausende Lebenswege. Für viele Mennoniten bedeutete der Krieg:


  • harte körperliche Arbeit fern der Familie,

  • das Aushalten gesellschaftlicher Spannungen,

  • und die Verpflichtung, eine Verantwortung zu tragen, die nicht am Gewehrlauf gemessen wurde.


Ihre Beiträge erinnern daran, dass auch Friedenstaten Teil der Kriegsgeschichte sind.


Nachklang


Bis zum Kriegsende steigt die Zahl der kanadischen Kriegsdienstverweigerer noch leicht auf über 10.000. Viele kehren danach in ihre Gemeinden zurück, bauen Farmen auf, engagieren sich in Kirchen und Friedensorganisationen – und prägen das westkanadische Kulturleben bis heute.


Der 1. Dezember 1944 steht daher für mehr als eine statistische Meldung: Er erinnert an jene, die in einem Zeitalter der Gewalt den Mut hatten, friedlich zu bleiben – und dennoch Verantwortung übernahmen.


Quellen:

Kategorie

Quelle / Titel

Hinweis / Inhalt

Regierungsstatistik

Labour Gazette (Kanada), 1940–1946

Monatsberichte zu Mobilisierung, CO-Zahlen, Arbeitsprogrammen

Regierungsstatistik

Canada Year Book / Canada 1945 (Dominion Bureau of Statistics)

Offizielle Jahresstatistik, inkl. Wehrpflicht & „postponed COs“

Gesetzgebung

National Resources Mobilization Act (NRMA), 1940

Rechtsgrundlage für Wehrpflicht & Anerkennung von Verweigerern

Archivquellen

Library and Archives Canada, RG 27 (Department of Labour)

Verwaltungsakten zu Alternative Service & CO-Verzeichnissen

Mennonitische Geschichte

A. J. Klassen (Hrsg.): Mennonites in Canada, 1939–1970

Standardwerk zu Mennoniten im Zweiten Weltkrieg

Forschung

Conrad Stoesz et al.: Alternative Service in Canada During WWII

Dokumentation der CO-Lager & Einsatzformen

Friedensforschung

K. Heuberger: Conscientious Objection in Canada: An Illustrated History

Überblick über CO-Geschichte in Kanada

Online-Archiv

Digitales Archiv zu CO-Biografien, Lagern, Fotos

Online-Lexikon

GAMEO.org (Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia)

Artikel über Mennoniten, Hutterer & CO-Traditionen


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