Eberli Bolt – Ein vergessener Vorläufer der Reformation
- Redaktion

 - 5. Juli
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Einleitung
Die Reformation des 16. Jahrhunderts war ein epochaler Umbruch in der europäischen Geistes- und Kirchengeschichte. Meist stehen dabei Namen wie Martin Luther oder Huldrych Zwingli im Vordergrund. Doch es gab Vorläufer, die schon vor dem Durchbruch dieser Reformatoren ähnliche Gedanken entwickelten und dafür oft mit dem Leben bezahlten. Einer dieser frühen Reformdenker war Eberli Bolt, ein Franziskanerbruder aus der Schweiz. Als charismatischer Prediger, Kritiker kirchlicher Missstände und entschiedener Vertreter einer evangeliumszentrierten Frömmigkeit wurde Bolt bereits 1524 – also vor der offiziellen Einführung der Reformation in Zürich – als Ketzer verbrannt. Sein Wirken steht exemplarisch für den reformatorischen Geist, der bereits vor Luther und Zwingli in verschiedenen Regionen Europas aufzukeimen begann.
1. Historischer Hintergrund: Kirche und Gesellschaft am Vorabend der Reformation
Die spätmittelalterliche Kirche war in vielerlei Hinsicht eine Institution im Krisenmodus. Zwar war sie nach außen hin noch mächtig, doch von innen nagten zahllose Probleme an ihrem Fundament: Simonie, Ämterhäufung, moralischer Verfall des Klerus, die zunehmende Kommerzialisierung des Ablasswesens und die Entfremdung weiter Bevölkerungsschichten von der offiziellen Sakramentspraxis. Gleichzeitig wuchs der Wunsch nach einer ursprünglicheren, persönlicheren Form des Christentums – einer Religion des Herzens und nicht des Rituals.

Diese Stimmung erfasste auch große Teile der Schweiz. In städtischen Zentren wie Zürich, Luzern oder Basel entstand ein dichtes Netzwerk von Bildungsbürgern, Mönchen, Humanisten und Laien, das zunehmend die Autorität der römischen Kirche hinterfragte. In diesem geistigen Klima wirkte Eberli Bolt – zwischen volkstümlicher Frömmigkeit und intellektueller Rebellion.
2. Eberli Bolts Herkunft und Wirken als Franziskaner
Eberli Bolt stammte vermutlich aus dem Raum Zürich und wurde um 1480 geboren. Er trat dem Franziskanerorden bei – einem ursprünglich auf Armut, Demut und tätige Nächstenliebe gegründeten Reformorden des 13. Jahrhunderts. In der Praxis hatte sich jedoch auch der Franziskanerorden im späten Mittelalter zunehmend an die kirchliche Hierarchie angepasst. Innerhalb des Ordens gab es allerdings auch immer wieder reformerische Bewegungen, etwa die sogenannten "Observanten", die eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche Armutsideal forderten.

Bolt gehörte zu diesen reformerischen Kräften. Besonders in Predigten in den Städten Bremgarten, Baden und Luzern kritisierte er die Verweltlichung des Klerus, den Ablasshandel und die sakramentale Übermacht der Priesterschaft. Er trat für eine Kirche ein, in der Laien einen größeren Platz einnehmen sollten – eine Idee, die später durch das „allgemeine Priestertum“ der Reformatoren Aufnahme fand.
Bolt predigte auf Deutsch und richtete sich gezielt an das einfache Volk. Er rief zur Umkehr auf, mahnte gegen Habgier und prangerte die kirchliche Institution als heuchlerisch an. Dabei bezog er sich – wie später Zwingli – auf die Schrift als höchste Autorität. Seine Reden fanden großen Zulauf, was ihn rasch ins Visier der kirchlichen Obrigkeit brachte.
3. Verhaftung, Inquisition und Hinrichtung (1524)
Die kirchliche Reaktion auf Bolts Predigten ließ nicht lange auf sich warten. Im Frühjahr 1524 wurde Bolt in Luzern verhaftet. Dort war der katholische Einfluss besonders stark geblieben, und die Stadtregierung war bemüht, jede aufkommende „häretische“ Bewegung im Keim zu ersticken.

Die genaue Anklage lautete auf Ketzerei, insbesondere wegen seiner Ablehnung der Heiligenverehrung, des Zölibats und der sakramentalen Praxis der Kirche. Laut zeitgenössischen Berichten unterwarf man Bolt einem kirchlichen Inquisitionsverfahren. Obwohl konkrete Aussagen aus dem Verhörprotokoll nicht überliefert sind, gilt als sicher, dass Bolt seine Überzeugungen nicht widerrief.
Im Sommer 1524 wurde Eberli Bolt in Luzern zum Feuertod verurteilt und öffentlich verbrannt. Seine Hinrichtung gilt als die erste im deutschsprachigen Raum im Zuge der Reformation – sie erfolgte über zwei Jahre vor dem Tod des Täufers Felix Manz (1527) und deutlich vor den Ketzerprozessen gegen radikale Reformatoren wie Michael Servet (1553).
4. Rezeption und Nachwirkung
Obwohl Eberli Bolt keine eigene theologische Schule gründete, hatte sein Wirken großen Einfluss auf die reformatorische Bewegung in Zürich. Huldrych Zwingli kannte Bolts Schriften und griff in seinen frühen Predigten ähnliche Themen auf – insbesondere die Ablehnung der Heiligenverehrung und die Berufung auf das alleinige Evangelium.
In den Täuferkreisen der frühen Reformation wurde Bolt später als ein „Zeuge des reinen Evangeliums“ verehrt. Der Täufer Hans Hut soll sich auf Bolt berufen haben, und in manchen Chroniken des 16. Jahrhunderts wird Bolt neben Jan Hus und Petrus Valdes genannt – als einer von Gottes Werkzeugen vor der eigentlichen Reformation.
Trotzdem geriet sein Name im 17. und 18. Jahrhundert zunehmend in Vergessenheit. Erst im 20. Jahrhundert entdeckten Historiker der Schweizer Reformationsgeschichte – vor allem in der Forschung zu den Täufern – Bolts Bedeutung neu.
Fazit
Eberli Bolt war ein kompromissloser Prediger in einer Zeit des kirchlichen Umbruchs. Er verkörperte das Aufbegehren eines neuen, vom Evangelium her gedachten Glaubens gegen die verkrusteten Strukturen der spätmittelalterlichen Kirche. Obwohl sein reformatorisches Werk unvollendet blieb, war sein Mut, gegen die offizielle Kirche aufzutreten, wegweisend für die weitere Entwicklung in Zürich und der Eidgenossenschaft.
Als einer der ersten Märtyrer der Reformation verdient Bolt einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis des Protestantismus. Sein Leben zeigt, dass die Reformation nicht mit einem Paukenschlag begann, sondern sich auf zahlreiche unscheinbare, aber entschlossene Persönlichkeiten stützte, die bereit waren, für ihre Überzeugungen alles zu riskieren.
Quellen und Literaturverzeichnis
Blickle, Peter: Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil. München: Oldenbourg Verlag, 1987.
Moeller, Bernd: Geschichte des Christentums in Grundzügen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005.
Locher, Gottfried W.: Die Zwinglische Reformation im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte. Zürich: EVZ-Verlag, 1962.
Peyer, Hans Conrad: Verfassungsgeschichte der alten Schweiz. Zürich: Schulthess Verlag, 1984.
Blanke, Fritz: Brüder in Christo. Die Reformation und die Täufer. Zürich: Zwingli-Verlag, 1955.



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